Anton Brenner

Anton Brenner

 

  geboren 1896 in Wien

  1922–1926 Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien

  arbeitete in Wien, Dessau, Frankfurt, China, Indien

  starb 1957 bei Autounfall

 

 

 

Nachruf zum 100. Geburtstag von Otto Kapfinger:

ANTON BRENNERS „WOHNMASCHINE“ IN WIEN-SECHSHAUS
Ein österreichisches Erfinderschicksal

Zum 100. Geburtstag des Wiener Architekten Anton Brenner

Anton Brenner, im August 1886 in Wien geboren und 1957 hier auch gestorben, gehört zu den originellsten und eigenständigsten Architekten in der Ära des Neues Bauens, aber auch zu den unbequemsten und unangepaßtesten Querdenkern seiner Generation. Er baute in Wien 1924 den ersten Gemeindebau mit Einbauschränken, Klappbetten und Dusche in jeder Wohnung, realisierte in Frankfurt und Berlin die ersten modernen Laubenganghäuser und zeigte in der Werkbundsiedlung den Prototyp des Siedlungshauses für eine dichte, ebenerdige „Teppichbebauung“ – wie sie später genannt werden sollte.

So sehr die Ansprüche und Resultate des „Funktionalismus“ heute einerseits zu Recht mit Kritik bedacht werden, so sehr verdienten andererseits jene Ansätze und Gedanken nach wie vor Beachtung, die grundsätzliche innovative Kraft besassen und in dieser Eigenschaft uns heute noch einiges zu sagen haben. Anton Brenner ist so ein „Fall“
und ein spezifisch „österreichischer“ noch dazu. Seine ersten Bauten realisierte er als Autodidakt in Tsingtao, wohin es ihn nach Militärdienst und russischer Kriegsgefangenschaft 1920 verschlagen hatte. Nach Studien bei Strnad und Frank an der Kunstgewerbeschule ging er dann an die Akademie zu Peter Behrens und Clemens Holzmeister. Noch als Student erhielt er, unterstützt von dem Architekturpublizisten und kurzzeitigen Siedlungsreferenten Max Ermers, den Planungsauftrag für einen Gemeindebau mit 32 Wohnungen in der Rauchfangkehrergasse. Dieser kleine Bau fand in der Fachwelt sofort überregionale Bachtung. Ludwig Hilbersheimer etwa schrieb in seinem Standardwerk  „Großstadtarchitektur“:

„Nun hat die Stadt Wien für Kleinwohnungen eine Grundfläche von 38 Quadratmeter vorgeschrieben, die für eine vielköpfige Familie viel zu knapp bemessen ist. Trotzdem ist es Anton Brenner durch äußerste Wirtschaftlichkeit verbunden mit höchster Zweckmäßigkeit gelungen, für diese geringe Wohnfläche eine sehr brauchbare Aufteilung zu finden. An jeder Treppe liegen vier Wohnungen, die halbstöckig gegeneinander versetzt sind. Die Wohnung selbst besteht aus Vorraum, Wasserklosett,  Küche,  Wohnzimmer mit Klappbetten für die Kinder und Elternschlafzimmer. Wohnzimmer und  Elternschlafzimmer  sind   durch   eine   Schrankwand getrennt. Die Küche ist auf 4 Quadratmeter zusammengedrängt und enthält eingebauten Schrank, Gasherd und Abwascheinrichtung und immerhin noch Platz zur Arbeit.“                                                 

Brenner hatte also für die Normgröße der damaligen Gemeindewohnungen eine Lösung entwickelt, die den gleichzeitigen ­ und später zu Tausenden errichteten Wohnungen bei gleichen Kosten in der räumlichen Großzügigkeit, in Funktion und Komfort deutlich überlegen war. In seinen Lebenserinnerungen beschrieb Brenner jenen unglaublichen Spießrutenlauf, den er bei der Verwirklichung dieses Baus durchzustehen  hatte, wie er die Ignoranz der verantwortlichen Bauabteilungen überwinden mußte, wie er von den einflussreichen Kollegen in der Zentralvereinigung der Architekten mit völlig haltlosen Plagiatvorwürfen desavouiert wurde, und wie es sich nun rächte, daß er als Akademiestudent die Fachjury des großen Wettbewerbs für Gemeindewohnungen 1923 öffentlich kritisiert hatte. Als „Wohnmaschine“ machte dieser Bau auch in Wien Schlagzeilen und wurde vor der Besiedlung von zigtausenden Interessierten besichtigt.  Als echter  Prototyp,  der eine Fülle durchdachter, alltagsnaher Neuerungen  enthielt, ­ blieb  er jedoch  Unikat.  Brenner, der sich weder politisch noch sonstwie arrangieren wollte, der im Ausland erfolgreich publizierte und  die  tonangebende heimische Fachwelt unverblümt  mit Kritik und überraschenden  Vorschlägenonfrontierte, war hier zur Persona non grata geworden.

Ohne Aussicht auf weitere Bauten in Wien ging er nach Frankfurt und arbeitete dort an der Rationalisierung der Typengrundrisse für ­ das große Wohnbauprogramm  der Stadt.  Dort entwickelte er dann sein System des „Laubenganghauses“,  das die Qualitäten der Flachbauweise mit den Vorteilen des Geschoßwohnbaus vereinigte. Das alte Prinzip der Wiener „Pawlatschenhäuser“  wurde   zur  „gestapelten  Reihenhaussiedlung“ aktiviert; Brenner sparte Stiegenhäuser, konnte dafür Aufzüge vorsehen und erreichte durch versetzte Stockwerke für die einzelnen Wohnungen eine Differenzierung zwischen niedrigen Schlafräumen und ho­hen Wohnzimmern.

Aber auch in Frankfurt kam es zu Auseinandersetzungen, unter anderem deshalb, weil Ernst May als Leiter des Stadtbauamtes Brenners Arbeiten unter seinem eigenen Namen veröffentlichte und dieser auch sonst nicht mit Kritik sparte. Ähnlich ging es in Dessau am Bauhaus, wo Brenner 1929 die Architekturabteilung leitete, bei den Studenten große Anerkennung erhielt, sich mit dem Meister aber aus verschiede­den Gründen zerstritt. Probleme gab es auch bei der Wiener Werkbundsiedlung, zu der ihn Josef Frank eingeladen hatte. Sein Entwurf wurde wegen des schwierigen Terrains abgeändert und ohne den geplanten Wirtschaftshof zur Straße ausgeführt, und die beiden winkelförmigen Reihenhäuser, in denen die Qualität des klassischen Atriumhauses im Format des Kleinsthauses zur Geltung kam, wurden von der „Gesiba“ viel zu teuer angeboten:

„Wir wußten doch, Ihr Typ würde Liebhaberwert erzielen. So haben wir ihn höher angesetzt, um die weniger gelungenen Typen, speziell die der Ausländer, billiger abgeben zu können“, soll der für die Bauorganisation verantwortliche Gesiba-Direktor Ing. Neubacher dem Architekten in dieser Sache entgegnet haben . . .

Brenners bewegte Lebensge­schichte,  seine volkswirtschaftliche und gesellschaftspolitische Agitation  im  Rahmen der  „Frei­wirtschafts-Bewegung„, seine Rolle in der Nazi-Zeit, seine Tä­tigkeit in Indien und so weiter können hier nicht vollständig nachgezeichnet werden. „Mit Ach und Krach durchs Leben“ nannte er seine nur in wenigen Exemplaren gedruckten Erinnerungen: Schicksal eines begabten, sozial-denkenden, untypischen Österrei­chers.  Sein Werk und seine Haltung, im Bauen mit wenigen Mit­teln ein Optimum zu leisten, bleibt als intelligentes, praxis- und alltagsbezogenes Schöpfertum un­auslöschbar und zukunftsweisend.

Die  Stadtgemeinde  ist  bei  dieser Gelegenheit aufgefordert, dem Haus in der Rauchfangkehrergasse die dringend nötige Renovierung angedeihen zu lassen.

Otto Kapfinger